Musikwissenschaftliche Forschungseinrichtungen und ihre Arbeitsbedingungen

Memorandum der Fachgruppe Freie Forschungsinstitute

(Erschienen in: Die Musikforschung, Heft 2/2000)

Vorbemerkungen

Beruf: Musikwissenschaftler. Neben den Universitäten und Musikhochschulen bilden die Freien Forschungsinstitute den größten Arbeitsmarkt der Musikwissenschaft. Wer musikwissenschaftliche Forschung zu seinem Beruf machen möchte, kann dies nur als Mitarbeiter einer Hochschule oder eines Forschungsinstituts. Die Stellen in den Forschungsinstituten sind bisher noch überwiegend Dauerstellen, zu etwa einem Drittel Öffentlicher Dienst; die übrigen in Anlehnung an den BAT. Ein abgeschlossenes Studium ist Voraussetzung für die Einstellung; die meisten Wissenschaftler sind promoviert.1

 

Die Institute bieten in vielen Fällen hervorragende Forschungsbedingungen: Konzentration auf einen überschaubaren Forschungsbereich, langfristige Arbeitsplanung, gute Möglichkeiten zu weiterer fachlicher Qualifikation. Freilich führt die Spezialisierung oft auch zu einer gewissen Isolation. Überdies ermöglicht das sehr begrenzte Berufsfeld der Musikwissenschaft den Mitarbeitern schon in mittlerem Alter kaum noch den Wechsel in ein anderes Arbeitsgebiet (etwa in ein anderes Forschungsinstitut, in einen Musikverlag, in den Journalismus oder zu praxisnahen Tätigkeiten). Auch die Durchlässigkeit zwischen Universitäten und Forschungsinstituten ist gering. Andererseits müssen die Forschungsinstitute ihre Spezialisten möglichst fest an sich binden, denn jeder Personalwechsel und jede Freistellung bedeuten zeitlichen und damit auch finanziellen Verlust. Kollegiale, konfliktarme Arbeitsbedingungen, die Eigeninitiativen und Identifikation mit dem Forschungauftrag des Instituts fördern und zugleich dem individuellen Forschungsinteresse den nötigen Freiraum lassen, sind daher für die Freien Forschungsinstitute von zentraler Bedeutung.

Kompetenz der Fachgruppe. Die Fachgruppe Freie Forschungsinstitute wurde 1965 von der Gesellschaft für Musikforschung als Sachwalterin der außeruniversitären Forschung eingesetzt. Sie hat in der Vergangenheit einerseits durch ihre Tagungen und Publikationen die Fachdiskussion befördert und andererseits an der langfristigen Sicherung der Forschungseinrichtungen und der sozialen Absicherung der Wissenschaftler mitgewirkt.

In den letzten Jahren hat sich die Fachgruppe zu einer großen Arbeits- und Interessengemeinschaft entwickelt. In ihr sind derzeit (Stand Juli 1999) 47 Forschungseinrichtungen mit mehr als 140 hauptamtlichen wissenschaftlichen Mitarbeitern vertreten. (Das entspricht etwa der Anzahl der an deutschen Hochschulen lehrenden Musikwissenschaftler.)

Die Musikeditoren bilden den Kern der Fachgruppe. Sie stellen etwa die Hälfte der Mitglieder. Die andere Hälfte ist in archivalischen, quellenkundlichen oder musealen Bereichen tätig und oft ebenfalls mit Editionen und/oder Grundlagenforschung befaßt. Weniger homogen ist die Fachgruppe als Interessengemeinschaft, denn die einzelnen Forschungseinrichtungen sind unterschiedlich groß und sehr verschieden in ihren Organisationsformen und ihren innerbetrieblichen Strukturen - bestehend aus Vorständen, Kommissionen, Trägervereinen und Beiräten, Vorsitzenden, Direktoren und Editionsleitern, hauptamtlichen, ehrenamtlichen und externen Mitarbeitern. Aus diesem Grund sind die Institute schwer miteinander vergleichbar. Etwa die Hälfte wird von der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften (Mainz) betreut, andere unterstehen mehr oder weniger direkt einem Bundes- oder Landesministerium. Einige sind räumlich und/oder personell eng mit Universitätsinstituten verbunden.

Doch gerade wegen der Verschiedenheiten ist eine übergeordnete, gemeinsame, von einer großen Zahl der Mitarbeiter und zugleich von der Gesellschaft für Musikforschung getragene Interessenvertretung unentbehrlich. Eine Aufgabe der Fachgruppe ist daher nach wie vor und gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, sich um angemessene Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter zu bemühen. Allerdings kann die Fachgruppe lediglich Empfehlungen aussprechen und Orientierungshilfen geben.

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Im Sommer 1996 hat die Fachgruppe unter den wissenschaftlichen Mitarbeitern eine Umfrage zu den Arbeitsbedingungen durchgeführt, an der sich 94 Kollegen beteiligt haben. Die Ergebnisse wurden in den Fachgruppensitzungen in Regensburg (1996) und Mainz (1997) ausgiebig diskutiert. Die Auswertung und die Diskussionen der Umfrage bilden die Grundlage des folgenden Memorandums. Es richtet sich zum einen an die Entscheidungsträger, d.h. an Trägervereine, Vorstände und wissenschaftliche Beiräte, zum anderen an die Mitarbeiter der Forschungsinstitute und darüber hinaus an die Öffentlichkeit im Fach Musikwissenschaft.

MEMORANDUM

1. Institutsstrukturen, Arbeitsklima, Kollegialität.

Die wichtigsten Faktoren für ein effektives und konfliktarmes Arbeitsklima sind Kollegialität und Eigenverantwortlichkeit. Es muß daher vordringlich darum gehen, in den Forschungsinstituten Strukturen herzustellen, die kollegiales Verhalten fördern. Dazu sind Transparenz und Mitspracherechte (z.B. auch bei Personalentscheidungen) unabdingbar. Darüber hinaus ist Kollegialität eine Bedingung für den fachlichen Informationsaustausch, mit dem die Arbeit eines Forschungsinstituts steht und fällt. Offene fachliche Auseinandersetzungen, wechselseitige Anregung und Kontrolle sind auf Dauer nur in einem Team möglich.

Doch ist von Geisteswissenschaftlern, die bereits durch ihr Studium zu kritischer Selbständigkeit erzogen wurden und sich in ihrem Fachgebiet in hohem Maße qualifiziert haben, die Unterordnung unter vielfach noch herrschende hierarchische Verwaltungs- und Institutsstrukturen bis hin zur Anerkennung der Weisungsbefugnis eines Vorgesetzten auch in wissenschaftlichen Belangen nicht einfach zu erwarten.

Ein gewisses Problem besteht in der Ambivalenz der Tätigkeit zwischen Dienstleistung und Eigenverantwortlichkeit. Phantasie, Engagement und Disziplin lassen sich nicht in Dienst nehmen. Wissenschaftliche Leistungen, zu deren Voraussetzungen neben der fachlichen Qualifikation vor allem das Interesse an der Arbeit gehört, sind nur zu erreichen, wenn Verantwortlichkeiten anerkannt, mit zunehmender Qualifizierung auch abgetreten werden und entsprechend Freizügigkeit gewährt wird.

Forschungsergebnisse, die im Auftrag der Institution erarbeitet werden, sind kein 'Privateigentum', sondern stehen allen Kollegen für die wissenschaftliche Arbeit des Institutes zur Verfügung. Diese Regelung sollte strukturell verankert und auch für leitende Mitarbeiter verpflichtend sein.

Die Rechte an einer aus der Arbeit erwachsenen Publikation sollten bei dem Mitarbeiter liegen, der für die Publikation verantwortlich zeichnet.

2. Dienstaufsicht

Die Dienstaufsicht liegt in kleineren Institutionen im allgemeinen beim Trägerverein, in größeren bei der Institutsleitung. Sie bezieht sich grundsätzlich auf die Einhaltung der Arbeitsverträge und der Tarifbestimmungen. Der Institutsleitung obliegt die Rechnungsführung des Forschungsinstituts, auch wenn der Haushalt im Hinblick auf die für die wissenschaftliche Arbeit notwendigen Ausgaben durch das Team vorgeplant wird.

3. Arbeitszeit - Leistungskontrolle

Im allgemeinen haben die Mitarbeiter eines Forschungsinstituts feste Arbeitszeiten, die sie in den Räumen des Instituts verbringen. Die Aufteilung in Kern- und Gleitarbeitszeiten ist üblich. Die Präsenzpflicht erleichtert die Zusammenarbeit und den Meinungs- und Informationsaustausch innerhalb des Teams und sollte deshalb der Normalfall sein. Andererseits lassen sich spezielle räumliche und familiäre Situationen nur berücksichtigen, wenn eine gewisse Flexibilität herrscht. Das ist nicht zuletzt im Hinblick auf den hohen Frauenanteil in den Instituten wünschenswert. Die Arbeitsverträge nach BAT regeln normalerweise nur die Dauer der Arbeitszeit, nicht die Frage der Präsenz.

Für Überstunden ist grundsätzlich Zeitausgleich zu gewähren.

4. Dienstreisen

Als Dienstreisen gelten die Reisen, die zur Durchführung der Institutsarbeit erforderlich sind (Recherchen, Beteiligung an einschlägigen Tagungen). Darüber hinaus sind auch Reisen zu Tagungen der Fachgruppe und entsprechender, für die Einrichtung bedeutsamer Interessenverbände (z.B. die AIBM für RISM) als dienstliche Angelegenheiten anzusehen. Für die Teilnahme an solchen Veranstaltungen sind den Mitgliedern (im Rahmen der für Reisen zur Verfügung stehenden Mittel) die Kosten zu erstatten.

Für Reisen zu anderen musikwissenschaftlichen, mit dem Forschungsgegenstand des Instituts mittelbar zusammenhängenden Tagungen, Symposien und Kongressen (mit oder ohne eigenes Referat) ist zumindest Dienstbefreiung zu gewähren.

5. Nebentätigkeiten

Die meisten Wissenschaftler arbeiten in ihrer Freizeit an anderen Projekten - viele ziemlich oft auch in Bereichen, die mit dem Forschungsgegenstand ihres Instituts kaum Berührung haben. In der Regel sind die Nebentätigkeiten wissenschaftlicher, schriftstellerischer oder künstlerischer Art, so daß sie keiner Genehmigung bedürfen. Wer eine Stelle mit begrenzter Laufzeit hat, ist geradezu existentiell darauf angewiesen, Nebentätigkeiten als Möglichkeit der Fortbildung und des Erhalts seiner Vielseitigkeit zu nutzen.

Innerhalb der Arbeitszeit sollte - in Abstimmung mit dem Team - ein angemessener Freiraum für Tätigkeiten zur Verfügung stehen, die nicht unmittelbar dem Hauptgegenstand der Forschungsstelle dienen.

6. Zusammenarbeit zwischen Freien Forschungsinstituten und Universitäten

In der Musikwissenschaft sind - anders als in vergleichbaren Fächern, etwa den Literaturwissenschaften - die philologischen Bereiche, die Quelleninterpretation und manche Aspekte der historischen Grundlagenforschung quasi aus dem fachlichen Zentrum der Universitäten ausgelagert und an die Freien (d.h. universitätsunabhängigen) Forschungseinrichtungen delegiert worden. Die Vorteile dieser Arbeitsteilung sind unübersehbar. Selbst große Projekte wie RISM, die Neuen Bach-, Mozart- und Schubert-Ausgaben mit Laufzeiten von jeweils mehr als 50 Jahren können geplant, geordnet vorangebracht und abgeschlossen werden.

Die Trennung birgt jedoch auch die Gefahr, daß sich Forschungsziele, die eigentlich aufeinander angewiesen sind (z.B. Quellenforschung und Analyse), voneinander entfernen und daß die methodische Vielschichtigkeit der Wissenschaft Einbußen erfährt. Um dies zu vermeiden, sollten Forschungsinstitute und musikwissenschaftliche Institute ihren fachlichen Austausch intensivieren. Die Universitäten sollten auf das Fachwissen der Institutsmitarbeiter zurückgreifen und regelmäßig Lehraufträge an sie vergeben. Die Institute sollten, auch um Nachwuchs für die eigene Arbeit zu fördern, Aufträge gezielt an Nachwuchswissenschaftler vergeben und für Praktikanten offenstehen. Sie sollten auch Magisterarbeiten und Dissertationen mitbetreuen. Es kann allerdings nicht Aufgabe der Freien Forschungsinstitute sein, Lücken in der universitären Ausbildung zu schließen.

Bei den meisten Mitarbeitern der Forschungsinstitute ist die Bereitschaft, sich in dieser Weise zu engagieren, sehr groß, denn Methoden und Erkenntnisse der eigenen Arbeit weiterzugeben und unmittelbare Resonanz zu erfahren, stellt ein wichtiges Korrelat zur Forschungstätigkeit dar und wirkt oft anregend und motivierend. Indes ist die freiwillige Lehrtätigkeit für die Mitarbeiter eine aufwendige Beschäftigung, die eine angemessene Honorierung oder Gegenleistung verdient. Im Einzelfall könnten zwischen Universität und Freiem Forschungsinstitut regelmäßig wiederkehrende Lehrveranstaltungen (etwa "Einführung in die Editionstechnik") fest vereinbart werden, und zwar so, daß daraus auch der konkrete Nutzen für das Forschungsinstitut ersichtlich ist.

7. Soziales

Ein großes Problem stellen die auslaufenden Editionsprojekte der Union der Akademien dar (Mozart, Schönberg, Bach, Haydn, Kirchenlied, Wagner). Die Arbeitsverträge der Mitarbeiter sind projektgebunden und damit befristet; die Gefahr der Arbeitslosigkeit ist unübersehbar. Die Fachgruppe empfiehlt, frei werdende Stellen bevorzugt mit Kollegen aus den auslaufenden Projekten zu besetzen. Was aus den wertvollen Materialsammlungen der Institute wird, ist in den meisten Fällen ungeregelt. Möglicherweise läßt sich durch sie die Einrichtung von Anschlußprojekten erreichen.

Die Fachgruppe hält einzig unbefristete Arbeitsverträge für erstrebenswert. Mittelfristige Verträge schaden den Projekten, da sie die Abwanderung der Mitarbeiter in andere Projekte fördern. Kurzzeitverträge haben nur Sinn, wenn sie sich auf konkrete Vorhaben beziehen, die in einem bestimmten Zeitraum abgeschlossen werden können, oder wenn sie einer 'Einstellung auf Probe' dienen.

Freiwerdende Stellen sollten öffentlich ausgeschrieben werden. Die Bezahlung erfolgt in der Regel nach BAT II. Neu zu besetzende Stellen sollten von Anfang an dieser Eingruppierung entsprechen.

Jeder Mitarbeiter sollte die Möglichkeit haben, eine Zusatzversicherung für die Altersversorgung abzuschließen, an der sich der Arbeitgeber beteiligt. Bei staatlich geförderten Instituten läuft dies über den VBLU (Versorgungsbund bundes- und landesgeförderter Unternehmen). Andernfalls ist eine vergleichbare Renten- oder Lebensversicherung zu ermöglichen.


1. Die speziellen Anforderungen wurden dargestellt von Dietrich Berke und Georg Feder, Beschreibung der Tätigkeit des Musikwissenschaftlers an Forschungseinrichtungen für Editions- und Dokumentationsvorhaben. In: Die Musikforschung 34/4, 1981, S. 464-467.

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